Wir sitzen in der wohligen Geborgenheit der Kabine. Während draussen der Wind in den Wanten heult, bedrohlich wirkende, dunkle Wolkenwände über den Hafen ziehen und der Regen auf das Deck prasselt, ist es hier drinnen bequem und gemütlich. Die OKOUMÉ liegt sicher vertäut an einem stabilen Steg im Hafen von Ponta Delgada und wartet den Durchlauf einer Front ab. Ein guter Zeitpunkt, auf den dritten Abschnitt unserer Sommerreise zurückzublicken:
Seit mehr als einem Monat sind wir nun bereits auf den Azoren. Ende Juni segelten wir in vier Tagen von Madeira nach Santa Maria, der südöstlichsten Insel des Azorenarchipels. Von da aus ging es nach São Miguel und weiter nach Terceira, São Jorge und bis zum Seglermekka Horta auf der Insel Faial. Seit Kurzem sind wir nun wieder zurück auf der Hauptinsel São Miguel. Von hier aus werden wir den Kurs wieder südwärts richten, entweder nochmals nach Madeira oder gleich direkt zu den Kanaren – und nachhause nach La Palma – segeln. Das Wetter wird den Ausschlag geben. Vor vier Jahren waren wir schon einmal durch die Inselwelt der Azoren gesegelt. Noch immer haben diese grünen Inseln inmitten des Atlantiks etwas ungemein Reizvolles an sich. Für Segler, die Hunderte von Meilen auf hoher See hinter sich haben, hat der Anblick des mächtigen Pico (des höchsten Bergs Portugals), der am Horizont erscheint und majestätisch in den blauen Himmel ragt, etwas Magisches an sich. Auf den Azoren anzukommen, ist noch immer eine bewegende, einzigartige Erfahrung. Allerdings hat sich auch so manches verändert. Zum einen sind viel mehr Boote unterwegs als noch vor vier Jahren. In der Hochsaison (Juni, Juli, August) sind die Häfen sehr voll und man kann nicht sicher sein, noch einen Platz zu bekommen. Man erzählte uns, dass an einem Tag Ende Juni in Horta über 40 Schiffe eingelaufen sein sollen! Auch wir machten die Erfahrung, dass es in den Häfen eng werden kann, und lagen immer einmal wieder im «Päckchen» (das bedeutet, dass man längsseits an einem anderen Boot festmacht, das am Steg liegt – oder selbst bereits an einem anderen Boot vertäut ist). Mit der BALU hatten wir in der Nord- und Ostsee öfters im Päckchen festgemacht; für die OKOUMÉ war es eine neue Erfahrung. Im Päckchen zu liegen kann ja etwas sehr Geselliges an sich haben und die Segler einander näherbringen. Im Hafen von Velas, zum Beispiel, lagen wir neben einer netten portugiesischen Familie. Der Papa sprach zum Glück Französisch (unser Portugiesisch hält sich sehr in Grenzen) und es war schön und spannend, sich mit ihm auszutauschen. In Horta, hingegen, hatten wir das zweifelhafte Vergnügen, eine schmuddelige, verwahrloste Dufour mit platten, schmutzigen Fendern als Nachbarin zu erhalten. Der französische Skipper stand mit Zigarette im Mundwinkel am Steuer, während sein Mitsegler fluchend versuchte, uns die Heckleine zuzuwerfen, während das Boot immer wieder von uns wegdriftete… Zum Glück war dies unsere letzte Nacht in Horta und wir konnten uns tags darauf bereits wieder aus dem unangenehmen Päckchen lösen. Im Sommer sind nicht nur viele Segler unterwegs. Es gibt auch auffallend viele Ausflugsboote. Egal auf welcher Insel (ob auf den Kanaren, Madeira oder den Azoren), immer wieder zeigte sich uns das ähnliche Bild: Mehrmals täglich fahren die Touristen-Boote ein und aus, für Whale-Watching, Tauchausflüge oder Rundfahrten mit «Cüpli» und leichter (bis lauter) Musik. Das Angebot für die Besucher scheint sich immer mehr zu vereinheitlichen, die Tourismusindustrie beginnt, die Atmosphäre in den Häfen zu dominieren. Manchmal fragen wir uns, ob dies alles nicht zu viel wird. Natürlich möchte man einerseits beim Whale-Watching die Besucher für das Leben der Wale und Tiere im Meer begeistern und sensibilisieren, und die Fahrten dienen sicher auch der Erforschung der Ozeane. Andererseits geht es auch um sehr viel Geld, denn die Ausfahrten mit hochmotorisierten Schnellbooten sind teuer und gut gebucht. Wir fragen uns manchmal, wie lange der eindrucksvolle Moment einer Walsichtung beim durchschnittlichen Besucher überhaupt anhält, ob die Ausfahrt auf das Meer nicht eher zu einem kurzfristigen Konsumerlebnis verkommt, das am Tag darauf von der nächsten touristischen Aktivität abgelöst wird und sich im Rausch der Quantität verliert? Was uns hingegen positiv aufgefallen ist: Das Meer zwischen den Inseln lebt! Fast auf jeder Überfahrt sehen wir Delfine, Schildkröten oder Wale. Einmal sichten wir sogar zwei Pottwale, die in gebührendem Abstand an uns vorbeiziehen und dabei immer wieder schräg ausblasen und ihre markanten, fast rechteckigen Köpfe in die Luft strecken. Sofort denken wir an Moby Dick, Regula schwärmerisch an Herman Melvilles treffende Sprache, Thomas an Kapitän Ahab, denn – wie die Romanfigur auf dem Deck der PEQUOD – stolziert auch er gerne auf dem breiten Heck der OKOUMÉ auf und ab (wenn auch ohne Holzbein). Und nicht nur im Wasser, auch in der Luft herrscht reger Betrieb. Immer wieder treffen wir auf Sturmtaucher, die in grossen Schwärmen auf den Wellen schaukeln und plötzlich verschreckt aufflattern, wenn sich der Bug der OKOUMÉ auf sie zubewegt. Auf dem Weg von Madeira zu den Azoren gesellt sich sogar eine Taube zu uns und fährt volle drei Tage lang als blinder Passagier mit. Die Taube ist recht gross und doppelt beringt (wie wir später herausfinden, handelte es sich darum wohl um eine Brieftaube). Die Taube lässt sich füttern und wird immer zutraulicher. Wir geben ihr den Namen Hans. Hans hat die Eigenheit, im Weg zu stehen, wenn wir Segel setzen oder bergen, und überall auf dem Schiff seine «Spuren» zu hinterlassen, sodass wir ständig damit beschäftigt sind, hinter ihm her zu putzen. Als wir uns der Insel Santa Maria nähern, verscheuchen wir Hans, als er nach einem seiner Ausflüge wieder an Deck landen will, denn er wird uns als Haustier langsam etwas anstrengend. Regula hat später noch Gewissensbisse und fragt sich, ob Hans auf Santa Maria einen guten Unterschlupf gefunden hat. Jedenfalls sehen wir auf der Insel viele Tauben, er scheint also immerhin in guter Gesellschaft zu sein. Verdursten muss Hans auf den Azoren sicherlich nicht. Die Inseln sind sehr grün und es regnet viel. An die hier vorherrschende hohe Luftfeuchtigkeit müssen wir uns erst einmal wieder gewöhnen (denn auf den Kanaren, wo wir uns lange Zeit aufgehalten haben, ist das Klima eher trocken). Dieses Jahr scheint der Sommer auf den Azoren noch feuchter zu sein als sonst. Ein befreundeter Segler, der nach Faial ausgewandert ist, macht die Klimaanlage an und geht zwei Tage lang nicht aus dem Haus, als die Luftfeuchtigkeit einmal wieder 90% erreicht. Im Boot haben wir keine Möglichkeit, die Luftfeuchtigkeit zu regulieren (den Entfeuchter haben wir im Haus auf La Palma gelassen, da wir dachten, im Sommer würden wir ihn an Bord nicht brauchen), und alles wird klamm, Kleider, Tücher, Bücher, das Bettzeug… Da hilft nur lüften, lüften, lüften (wenn denn mal ein Hauch geht) und immer wieder die Polster hochstellen, Schränke ausräumen und die Wände mit Essigwasser behandeln, um Schimmel vorzubeugen. Während es hier auf den Azoren sehr feucht ist, kämpft der Süden Europas mit Trockenheit und grossflächigen Waldbränden. Eines Tages erreicht uns die Nachricht, dass es auch auf La Palma brennt! Das Feuer breitet sich rasend schnell aus und bedroht bald auch unser Dorf. Unsere hilfsbereiten Mieter bringen unser Auto und die wichtigsten Dokumente in Sicherheit und halten uns auf dem Laufenden. Auch stehen wir mit unseren Nachbarinnen in engem Kontakt, telefonieren regelmässig und sprechen uns Mut zu. Als nach ein paar Tagen der Brand unter Kontrolle gebracht werden kann, fällt uns ein Stein vom Herzen! Die Einsatzkräfte haben Unglaubliches geleistet! Und wir sind froh und dankbar, in unserem Dorf so nette Nachbarn und für unser oberes Häuschen so verlässliche Mieter gefunden zu haben. Das hat die Situation ungemein erleichtert! Während ich dies schreibe, eine Schrecksekunde: Am Steg gegenüber legt ein Segler ab und bleibt – im starken, böigen Westwind – am Heck des Nachbars hängen! Mit Ach und Krach schafft es das Boot doch noch aus der Box und aus dem Hafen. Dreimal darf man raten, welches Schiff den Schaden angerichtet hat: Es ist die HILDEGARD, die heruntergekommene Dufour, die in Horta bei uns im Päckchen gelegen hatte! Nur gut, dass die beiden Franzosen nun fort sind – je weiter, desto besser ;-) Cheerio und bis demnächst, herzliche Grüsse von Ponta Delgada, Thomas und Regula
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Marc
23/8/2023 09:48:29
Danke für das "Mitnehmen". Immer ein Genuss, die lebhaft geschriebenen Lebenszeichen. Liebe Grüsse aus Stäfa Marc
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