Als wir im letzten Blogeintrag schrieben, dass wir mit dem nächsten Wetterfenster von Lanzarote nach Madeira segeln wollten, ahnten wir nicht, wie lange es tatsächlich dauern würde, bis wir von den Kanaren loskamen. Da waren wir extra zur östlichsten Kanareninsel gesegelt, um von da aus mit den üblichen Nordostwinden einen besseren Winkel für die Überfahrt zu haben. Und dann wehte es drei Wochen lang stürmisch aus Norden, manchmal sogar aus Nordwesten, also genau von da, wo wir hinwollten. Jeden Tag erreichte uns derselbe Wetterbericht: Für die nächsten 10 Tage Nordnordwest bis Nord, 5-7 Beaufort, inklusive 2 bis 4 Meter Welle auf die Nase. Wir übten uns in Geduld, fragten uns aber manchmal schon, ob dieses Jahr der Sommer früher als üblich Einzug hielt und ob es überhaupt noch eine Chance geben würde, nach Madeira zu segeln. Wir hatten Anfang Mai, aber die Nordwindlage war bereits so stark und ausgeprägt wie sonst im Juli und August. Die freundliche Büroangestellte in der Marina Rubicón meinte aufmunternd, die Wetterlage sei schon sehr untypisch für diese Jahreszeit – und sackte lächelnd die Liegegebühr für eine weitere Woche von uns ein...
Dann – endlich – tat sich etwas in der Wetterküche. Der Wind wurde etwas schwächer und wir kreuzten vom Süden Lanzarotes nach Arrecife (der Inselhauptstadt) und schliesslich nach Caleta de Sebo (auf der kleinen Insel Graciosa nördlich Lanzarotes) auf. Am 24. Mai lösten wir bei leichtem Nordwind in Caleta de Sebo die Leinen, Kurs Madeira. Nach erstaunlich entspannten und ruhigen zwei Tagen und Nächten auf See erreichten wir schliesslich Funchal, die Hauptstadt Madeiras, und freuten uns enorm, den Sprung doch noch geschafft zu haben! Mit einem feinen Abendessen in einem netten Restaurant feierten wir nicht nur unsere Ankunft, sondern holten auch unsere Geburtstage nach, die wegen der Törnvorbereitung und der üblichen Routine des Wachegehens auf See etwas zu kurz gekommen waren. Nicht, dass dies Thomas gestört hätte. Geburtstage sind für ihn ja bekanntlich Tage wie alle anderen. Aber Regula zuliebe kramte er für den Restaurantbesuch dann doch noch die lange Hose aus der untersten Ecke des Schapps… Seit wir auf Madeira sind, hat sich, zynischerweise, die Grosswetterlage komplett geändert. Endloser Sommer? Von wegen! Wir haben nun Winter! Das Hoch über den Azoren ist verschwunden. Stattdessen ziehen Tiefdruckgebiete heran und bescheren uns westliche Winde und viel Regen. Anfangs freuten wir uns noch über den Regen, denn er wusch den Sand und Staub von Lanzarote vom Boot. Aber dazu hätte EIN Regentag eigentlich gereicht… Höhepunkt der ungewöhnlichen, winterlichen Wetterlage ist Sturmtief «Oscar»: ein Unwetter, das nicht nur uns hier auf Madeira zu schaffen macht, sondern auch die Azoren und gar die im Süden gelegenen Kanaren betrifft. Für Madeira erwartet man vor allem sintflutartigen Regen, aber auch Sturmböen und Schwell aus Süd. Da die Häfen auf Madeira gegen Südstürme nur schlecht geschützt sind, kommt es zu emsigen Vorbereitungen, auch bei uns in Funchal. Boote, die in Nähe der Hafeneinfahrt liegen, werden, soweit möglich, umplatziert. Man zieht Festmacher quer durch den Hafen, hektisch wird an den Leinen gezupft, zusätzliche Fender werden angebracht. Unser Nachbarboot hat, wie wir, sehr breite Salinge. Damit sich die Riggs (der Mast und die Drahtseile, die den Mast stützen) der Schiffe nicht verheddern, wenn die Boote im Sturm schaukeln, binden wir die Boote so an, dass die Masten nicht auf gleicher Höhe sind. Am nächsten Morgen – der Himmel hat sich schon zugezogen und leichter Regen eingesetzt – kommt der Eigner des Nachbarboots nochmals in den Hafen und bindet sein Boot wieder anders an. Eigentlich will er es weiter vom Steg wegziehen (das übernächste Boot wurde verlegt und es hat nun viel Platz in der Box), aber irgendwie klappt es nicht, weitere Personen von anderen Booten kommen hinzu und schliesslich ziehen alle an irgendeiner Leine und kommen sich gegenseitig in die Quere. Wir versuchen, vermittelnd einzugreifen, aber unsere Portugiesisch-Kenntnisse sind leider sehr bescheiden. Zum Glück schreiten schliesslich die Marineros ein, die, wie wir schon bemerkt haben, hier eine gewisse Autorität besitzen und von den Bootsbesitzern respektiert werden. Wenige Handgriffe später liegt das Nachbarboot wieder gut vertäut in der Box; auch die Riggs der beiden Schiffe können wieder frei «arbeiten». Unser Nachbar verabschiedet sich sichtlich erleichtert und geht nach Hause. Von nun an wird jeder übereifrige Freund unseres Nachbarn (und derer gibt es viele!), der sich in verdächtiger Absicht unseren Booten nähert, von uns mit einem bösen Blick bedacht, damit er ja nicht auf die Idee kommt, die Leinen zu «justieren». Als Sturm «Oscar» schliesslich über uns hinwegzieht, bringt er die erwarteten Rekordmengen an Regen. Der Bach, der neben der Hafeneinfahrt ins Meer mündet, wird zum reissenden Strom. Da er nicht nur viel Wasser, sondern auch beeindruckende Massen an Schlamm, Holz und Geröll mit sich führt, bildet sich in der Hafeneinfahrt bald eine natürliche Barre. Anfangs ist es im Hafenbecken noch sehr unruhig und die Boote tanzen im hereindringenden Schwell. Doch nachdem sich die Barre gebildet hat und die Einfahrt durch Geröll versperrt ist, liegen wir sehr ruhig. Wir kommen alle aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mit dieser natürlichen «Zusatzmole» hat niemand gerechnet! Beruhigt legen wir uns schlafen und versuchen, den Gedanken zu verdrängen, dass zwar vorerst kein Schwell mehr in den Hafen dringen kann, wir aber auch nicht mehr hinausfahren können. Bis die Hafeneinfahrt ausgebaggert ist, dürfte es eine gute Weile dauern. Obwohl wir nun im Hafen von Funchal eingeschlossen sind, sind wir froh, dass wir das schlechte Wetter hier aussitzen können und nicht etwa im Hafen von Caleta de Sebo (unserem Absprunghafen auf den Kanaren) festsitzen. Während die Marineros in Funchal hilfsbereit, kompetent und flexibel sind, Englisch sprechen, und bemüht sind, für ihre Kunden und deren Boote zu sorgen und die bestmögliche Lösung zu finden, sogar nachts im Sturm Kontrollgänge über die Stege machen, sind die Hafenarbeiter in Caleta de Sebo das komplette Gegenteil. Will man den Hafen auf der kleinen, beschaulichen Insel Graciosa besuchen, kann man nicht einfach hinsegeln und auf dem Weg dahin anrufen. Will man einen Liegeplatz, muss man diesen über die App von «Puertos Canarios» beantragen, am besten eine Woche im Voraus und auch gleich die Liegegebühren vorab online einzahlen. Wer sich nicht an diese Regel hält, wird meistens abgewiesen, selbst wenn der Hafen halb leer ist. So erging es auch zwei Franzosen, die wir in Caleta de Sebo kennenlernten. Sie hatten sich zwar über die App angemeldet, sich jedoch vertippt (oder die App auf Spanisch nicht ganz verstanden) und bei dem gewünschten Liegeplatz, anstelle von «Hafen», «Ankerplatz» angekreuzt. Als sie dann in den Hafen einliefen, wurden sie tatsächlich weggeschickt (obwohl es viele freie Plätze hatte). Am Ankerplatz haben sie dann erneut einen Liegeplatz über die App beantragt und konnten einen Tag später endlich im Hafen festmachen. Bei uns hatte es zwar geklappt mit der Anmeldung über die App, aber man wies uns einen schlechten Platz zu, der mittig von einem Pfosten versperrt war. Nur mühsam konnten wir unser Boot hier einigermassen sicher vertäuen. Alle anderen Plätze hatten keine solche Pfosten als Hindernis, und dennoch wollte man uns nicht umplatzieren. Als ich mich am nächsten Tag erdreistete, einen der Sicherheitsbeamten auf Spanisch anzufragen, ob wir einen Tag länger als gebucht bleiben könnten (Hilfe, Kunde droht mit Umsatz!), erntete ich einen bösen Blick und ein knappes «Lunes: oficina» («Montag: Büro»). Kommunikation und Kundenorientierung sind definitiv nicht die Stärken dieses Hafens ;-) Trotzdem hat es sich gelohnt, Graciosa anzusteuern, denn die kleine, wüstenartige Insel mit gerade einmal 700 Einwohnern hat ihren ganz eigenen Wildwest-Charme. Also dänn, bis zum nächsten Bericht (sollte es den Madeirensern gelingen, die Hafeneinfahrt von Funchal wieder freizulegen – man sagt, in zwei Tagen sei es soweit), muitas saudações da Madeira! Thomas und Regula
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